Bezahlung nicht angeordneter Überstunden

Müssen nicht angeordnete Überstunden bezahlt werden? Immer wieder haben Gerichte im Zusammenhang mit dem Gastgewerbe Forderungsklagen aus Überstundenarbeit zu beurteilen, zuweilen solcher von leitenden Angestellten. – So klagte auch ein ehemaliger „Koch und Restaurantleiter" auf Nachzahlung der von ihm während eines mehrjährigen Arbeitsverhältnisses geleisteten Überstunden, obwohl in diesem Fall die vorgeschriebene Arbeitszeitkontrolle unterlassen worden war.
Das Gericht (OGer LU, in JAR 2011, S. 525) hatte vorab die Frage zu klären, ob der klagende Arbeitnehmer überhaupt den allgemeinverbindlichen Bestimmungen des Landes-Gesamtarbeitsvertrages des Gastgewerbes (L-GAV) persönlich unterstellt sei, um anschliessend die Überstunden-Forderung zu beurteilen.

Anwendbarkeit des L-GAV?

Art. 2 Abs. 2 L-GAV zählt abschliessend auf, welche Arbeitnehmer nicht seinem persönlichen Geltungsbereich unterstehen und nennt u.a.: „Betriebsleiter, Direktoren“. Allerdings reicht für diese Ausnahme eine wichtige Funktionsbezeichnung oder ein hochtrabender Titel nicht aus. Vielmehr kommt es nach der bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Einzelfall darauf an, dass diese Angestellten in wesentlichen Angelegenheiten des Betriebes tatsächlich über Entscheidungsbefugnisse verfügen. – Im zu beurteilenden Fall war der klagende Arbeitnehmer in seiner Position als "Koch und Restaurantleiter" zwar relativ selbständig, allerdings war seine Funktion im Wesentlichen auf den Wareneinkauf und das Bankettgeschäft beschränkt. Dies erschien dem Gericht nicht ausreichend, weshalb es auf die Anwendbarkeit des L-GAV schloss.

Überstunden-Entschädigung …

Gemäss Art. 21 L-GAV ist der Arbeitgeber verpflichtet, über die geleisteten Arbeitsstunden (Arbeitszeitkontrolle) und die Arbeits- und Ruhezeiten (Arbeitszeiterfassung) Buch zu führen. Er bleibt auch verantwortlich, wenn er diese Aufgabe dem Arbeitnehmer delegiert. Vorliegend wurde seitens der Arbeitgeberin während des gesamten Arbeitsverhältnisses keinerlei Arbeitszeitkontrolle und -erfassung geführt oder veranlasst. – Hingegen präsentierte der klagende Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine privaten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitszeiten.  Dagegen wendete die frühere Arbeitgeberin ein, dass sie diese Aufzeichnungen bisher gar nicht gekannt hatte. Sie habe die darin aufgeführten Überstunden niemals angeordnet und deshalb auch keine Kenntnis über deren Ausmass gehabt. Überdies seien diese freiwilligen Arbeitsleistungen gar nicht im betrieblichen Interesse erfolgt. – Das Gericht hatte also zu klären, ob Überstunden, welche ohne Wissen des Arbeitgebers geleistet werden, entschädigungspflichtig sind, und welche Folgen das Unterlassen der vorgeschriebenen Arbeitszeitkontrolle durch die Arbeitgeberin hat.

… trotz unterlassener Arbeitszeitkontrolle?

Art. 15 Ziff. 4 L-GAV definiert Überstunden für das Gastgewerbe als jene Arbeitsstunden, welche über die vereinbarte durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleistet werden. Gemäss Art. 321c Abs. 1 OR ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, Überstunden auf Anordnung seines Arbeitgebers zu leisten, wenn sie für den Betrieb notwendig und diese Mehrleistung dem Arbeitnehmer zumutbar ist.- Allerdings sind sie innert nützlicher Frist durch gleicher Dauer zu kompensieren oder L-GAV-konform zu bezahlen (vgl. Art. 15 Ziff. 5 ff. L-GAV). Vorliegend wurden die geltend gemachten Überstunden unbestrittenermassen nie von der Arbeitgeberin angeordnet. Der Kläger machte jedoch geltend, dass die von ihm aufgezeichneten Überstunden betriebsnotwendig gewesen und daher von der Arbeitgeberin gesetzeskonform zu vergüten seien. Zudem konnte er darauf verweisen, dass nach Art. 21 Ziff. 4 L-GAV eine private Arbeitszeiterfassung oder Arbeitszeitkontrolle des Mitarbeiters im Streitfall als Beweismittel zugelassen werde, falls der Arbeitgeber seiner Buchführungspflicht nicht nachkomme. Das Gericht orientierte sich in seinem Entscheid an der bundesgerichtlichen Praxis, wonach Überstunden, welche ohne Wissen des Arbeitgebers geleistet werden, diesem innert nützlicher Frist mitzuteilen seien. Denn nur so sei der Arbeitgeber in der Lage, den Betrieb dergestalt zu organisieren, dass ggf. keine oder weniger Überstunden anfallen. Dementsprechend bemängelte das Gericht, dass der Kläger seine privaten Arbeitszeitaufzeichnungen während der gesamten Anstellungsdauer der Arbeitgeberin nie präsentiert und ihr dadurch die Gelegenheit vereitelt hatte, eine ggf. ungenügende Betriebsorganisation rechtzeitig zu korrigieren und allfällige Ansprüche des Mitarbeiters L-GAV-konform zu bereinigen. Kommt dazu, dass der Kläger seine privaten Aufzeichnungen der Arbeitgeberin auch anlässlich der Beendigung des Arbeitsvertrages (noch) nicht vorgelegt hatte, was dem Einwand der Arbeitgeberin Glaubwürdigkeit verlieh, diese private Arbeitszeitkontrolle sei vom Arbeitnehmer erst später oder sogar eigens für den Prozess erstellt worden. - Weil also im vorliegenden Fall dem Kläger der Nachweis nicht gelang, dass er die Arbeitgeberin tatsächlich über die von ihm angeblich geleisteten Überstunden orientiert hatte, wies das Gericht seine Forderung auf Überstunden-Entschädigung vollumfänglich ab.

Nicht jede private Arbeitszeiterfassung verfängt, aber …

Das Gerichtsurteil relativiert den in der Branche verbreiteten Eindruck, infolge des (zu) streng formulierten Art. 21 Ziff. 4 L-GAV (Anm. PT: eine Kann-Formulierung wäre wohl angebrachter) komme den privaten Aufzeichnungen eines Mitarbeiters vor Gericht quasi automatische, uneingeschränkte Beweiskraft zu. – Besser ist jedoch allemal, es seitens des Arbeitgebers gar nie so weit kommen zu lassen, sondern die gesamtarbeitsvertraglichen Pflichten zu Arbeitsplan, Arbeitszeiterfassung und – kontrolle einwandfrei zu erfüllen, haben doch diese Unterlagen im Prozessfall den Charakter von Beweisurkunden. – Und den Mitarbeitenden wiederum, insbesondere den leitenden Angestellten, muss bewusst sein, dass sie den Arbeitgeber schon als Folge der allgemeinen Treuepflicht (Art. 321a OR) über anfallende, zu entschädigende Überstunden rechtzeitig und nachweislich orientieren müssen. Jeweils zu Monats-Ende sollten und spätesten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses müssen entschädigungspflichtige Überstunden dem Arbeitgeber bekannt sein. 

© by Dr. iur. Peter P. Theiler | CH-8001 Zürich | www.gastrolegal.ch 

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