
Die Crux mit Gastro-Gutscheinen
"Dieser Gutschein ist nicht von mir!"
Marco Millio, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der schon alles hat und gerne gut isst, feierte am 1. April 2016 seinen 60. Geburtstag. Beim Abstreichen der Geschenkideen verblieb seinem Geschäftsfreund Reto Ratlos die glorreiche Idee, Marco Millio einen Gutschein für ein „Dinner for two“ im angesagten Kulinarik-Lokal „Paradies-Garten“ im Betrag von CHF 500.- zu schenken. "So kann sich der Beschenkte selber aussuchen, wann er den Essensgutschein einlösen will", war die einleuchtende Überlegung von Reto Ratlos. Keiner Überlegung wert war ihm das Kleingedruckte "Einzulösen innert 2 Jahren ab Ausstellungsdatum 31. März 2016". Denn Marco Millio war bekannt dafür, jeweils als einer der ersten „Duz-Gäste“ neuer Stars am Gastro-Himmel gelten zu wollen. - Ob’s das zeitintensive Abarbeiten aller Geburtstags-Essensgutscheine war oder die durch einige Kreuzfahrten prolongierte Reha-Kur nach dem dritten Herzinfarkt, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber: Als Marco Millio im Januarloch 2018 den Essensgutschein im „Paradies-Garten“ einlösen wollte, akzeptierte der inzwischen neue Gastwirt diesen Gutschein nicht. Dies, obwohl Marco Millio mit der ihm eigenen Verve darauf bestand, dass der Gutschein noch nicht abgelaufen sei. Der neue Gastgeber blieb dabei und wies Millio höflich an seinen Vorgänger, der diesen Gutschein ausgestellt hatte und zwischenzeitlich ein anderes Gourmetrestaurant führe, allerdings nunmehr als Gerant, d.h. als angestellter Betriebsleiter. - Ist das rechtens? Welche Bestimmungen gelten bezüglich der Gültigkeit von Gutscheinen, ihrem Ablaufdatum und der Verjährung? Und wer haftet für den Gutschein bei Wirtewechsel?
Gutschein ohne Verfalldatum
Wenn ein Gutschein kein Ablaufdatum aufweist, gelten für seine Einlösbarkeit die Verjährungsfristen des Obligationenrechts. Mit Ablauf von 10 Jahren ab Fälligkeit verjähren alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt (Art. 127 OR), also beispielsweise Gutscheine für Hotels, Reisen und Wellness. Dagegen sieht der Gesetzgeber explizit für „Lieferung von Lebensmitteln, für Beköstigung und für Wirtsschulden“ eine 5-jährige Verjährungsfrist vor (Art. 128 Ziff. 2 OR).
Gutscheine mit Verfalldatum
Im vorliegenden Fall hatte der damalige „Paradies-Garten“-Wirt den Gutschein am 31. März 2016 ausgestellt, womit die 2-jährige Einlösefrist bis am 31. März 2018 dauert (Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR). Dies bedeutet zwar eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung zuungunsten des Konsumenten, kommt aber im Alltag bei Gastro- und anderen Gutscheinen häufig vor. Weil diese Rechtsfrage bis heute von Schweizer Gerichten nicht verbindlich geklärt ist, ist die Frage der Zulässigkeit von Ablaufdaten kürzer als die gesetzlichen Verjährungsfristen juristisch umstritten. Vorherrschend ist die Auffassung, dass ein Gutschein nach dem Ablaufdatum nicht mehr eingelöst werden muss. Immerhin können sich die Gegner dieser Praxis auf Art. 129 OR berufen, gemäss welchem die gesetzlichen Verjährungsfristen nicht durch Verfügung der Beteiligten abgeändert werden können. Bestärkt in ihrer Argumentation sehen sie sich seit 2012 durch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, wonach in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) kein erhebliches, ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den Rechte und Pflichten der Konsumenten stipuliert werden darf. – Allerdings tut der Konsument mit Blick auf den meist tiefen Streitwert und das Prozessrisiko wohl besser daran, sich nicht auf einen diesbezüglichen Rechtstreit mit dem Gutschein-Aussteller einzulassen. Eher sollte er dafür besorgt sein, dass der Gutschein rechtzeitig eingelöst oder aber einvernehmlich – schriftlich – verlängert wird. Und oftmals zeigen sich die Aussteller auch nach Ablauf des Gutscheins kulant.
In keinem Fall besteht jedoch ein Rechtsanspruch, den Gutschein in Bargeld umzuwandeln.
Alter Gutschein bei neuer Geschäftsleitung gültig?
Im vorliegenden Fall spielt aber die Verjährung rechtlich keine Rolle. Vielmehr stellt sich die Frage, wer für die Einlösung des Gutscheins, ausgestellt auf „Restaurant Paradies-Garten“ haftet, wenn dessen Geschäftsinhaber wechselt oder der Gastgewerbebetrieb sogar ganz aufgegeben wird.Primär haftet derjenige Restaurant-Inhaber im Rahmen der Verjährung, welcher den Gutschein ausgestellt und nota bene den entsprechenden Betrag eingenommen hat. Marco Millio kann versuchen, den von Reto Ratlos vorausbezahlten Betrag vom damaligen Aussteller zurückzufordern. Praktisch ist ein solches Unterfangen allerdings oft aussichtslos, weil der Verantwortliche beispielsweise gar nicht mehr auffindbar oder als Einzelunternehmer bereits in Konkurs gegangen ist. Bei juristischen Personen wie Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung erlischt die Haftung mit der Streichung im Handelsregister; der einzelne Gesellschafter haftet grundsätzlich nicht.
Wenn aber der Restaurantbetrieb unter neuer Führung weiterhin existiert, muss abgeklärt werden, wie der Betrieb übernommen wurde: Hat der neue Geschäftsinhaber die Firma mit Aktiven und Passiven –also samt Verbindlichkeiten – übernommen oder nur die Aktiven gekauft? Der Blick ins Handelsregister gibt Auskunft, welche Rechtsform ein Unternehmen gewählt hat, wer am Unternehmen berechtigt ist, und unter «Besondere Tätbestände», ob die Gesellschaft bei der Gründung eine andere mit Aktiven und Passiven übernommen hat. Im letzteren Fall haftet der neue Restaurantinhaber im Rahmen der Verjährungsfrist für die von seinem Vorgänger ausgestellten Gutschein-Verbindlichkeiten.
Leider kommt es vor, dass neue Geschäftsinhaber versuchen, sich der übernommenen Gutschein-Verpflichtungen zu entziehen, indem sie z.B. mit einem Aushang, einem Flyer oder einem Inserat die Gültigkeit der Gutscheine des Vorgängers bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Wiedereröffnung zu beschränken suchen. Das ist allerdings eine einseitige Vertragsänderung und als solche rechtlich nicht zulässig.
Kulanz mit Augenmass
Weil nun aber das Auflaufen-lassen früherer Kunden dem Image des Nachfolgers ausgerechnet in der sensiblen Aufbauphase nachhaltig schaden kann, ist in der Übernahme-Vereinbarung eines Gastgewerbebetriebes auch für den Fall eine Regelung über die Abgeltung der nach Übernahme eingelösten Gutscheine angezeigt, wo diese Schulden vom Vorgänger nicht mitübernommen werden. Ohnehin wäre dem neuen „Paradies-Garten“-Wirt mit Blick auf die potentielle Kundschaft zu Kulanz zu raten, wenn auch mit Augenmass und „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Nach dieser Sichtweise dürfte Marco Millio durchaus eine Chance auf das kulinarische „Tête à tête“ im Paradies-Garten haben.
© by Dr. iur. Peter P. Theiler | CH-8001 Zürich | www.gastrolegal.ch | GOURMET-Artikel 2017/7+8