Ist der Immunitäts- oder Impfnachweis im Gastgewerbe zulässig?
Die Auswirkungen von Corona werden auch das Schweizer Gastgewerbe bis auf weiteres im Würgegriff halten. Obwohl hierzulande die Corona-Impfkampagnen auf Hochtouren laufen, gelten speziell im Gastgewerbe weiterhin zahlreiche pandemiebedingte Einschränkungen. Um deren wirtschaftliche Nachteile zu mildern, wird von verschiedener Seite gefordert, gestützt auf einen Immunitäts- bzw. Impfnachweis individuelle Lockerungen von epidemiologischen Massnahmen zu erlauben.
Unterscheidung zwischen hoheitlicher und privater Tätigkeit
Bei der Diskussion um mögliche Einschränkungen für nicht geimpfte Personen wird ungenügend unterschieden zwischen Einschränkungen, die von privaten Leistungserbringern wie Gastwirten und Hoteliers verlangt werden, und Schranken, die vom Staat unmittelbar errichtet oder auch nur mittelbar veranlasst werden. Diese Unterscheidung ist daher zentral, weil bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit solcher Einschränkungen jeweils unterschiedliche Massstäbe gelten. Wenn nämlich im Zusammenhang von «Impfausweisen für private Dienstleistungen» Diskriminierungsvorwürfe laut werden, so geht dabei meist vergessen, dass Adressat von Grundrechtsgarantien nicht der private Unternehmer ist, sondern der Staat.
Diskriminierungsverbot
Während nämlich der Staat gemäss Art. 8 Abs. 1 BV grundsätzlich alle Menschen gleichbehandeln, jedoch allfällige Ungleichbehandlungen sachlich begründen muss, diskriminieren wir im Privatbereich, auch im privaten Geschäftsverkehr, erlaubtermassen unablässig: Beispielsweise wird ein Gastgewerbelokal an den finanzkräftigeren (vielleicht gastronomisch schlechter qualifizierten) Bewerber vermietet; dem finanziell schlecht gestellten Gasten bleibt der Genuss der (in der Regel auch preislich) gehobenen Gastronomie verwehrt, oder, der Zutritt zum «exklusiven» Club wird vom Türsteher aufgrund kaum nachvollziehbarer Kriterien gewährt oder verweigert.
Verboten und deshalb strafrechtlich (Art. 261bis StGB) verfolg werden nur – aber immerhin – Diskriminierungen, wenn sie aufgrund von Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung erfolgen. Demgegenüber ist die Verweigerung gastgewerblicher Leistungen wegen anderer Merkmale – etwa der politischen Überzeugung – nicht verboten. Kurz: während der Staat nur im begründeten Ausnahmefall diskriminieren darf, ist dem Privaten diskriminierendes Verhalten nur in besonders gesetzlich geregelten Bereichen verboten. Demnach ist es dem Gastwirt durchaus erlaubt, nur Gästen Zutritt zu seinem Restaurant oder Hotel zu gewähren, welche nachweisen können, dass sie gegen Covid-19 immun sind.
(Eingeschränkter) Grundsatz der Privatautonomie im Gastgewerbe
Die Geschäftsbeziehungen nichtstaatlicher Personen wie Gastwirte und Hoteliers fallen unter die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV), welche die privatwirtschaftliche Tätigkeit in umfassender Weise schützt. In diesem Grundrecht enthalten ist die Vertragsfreiheit ebenso wie das Recht auf freie Gestaltung der Geschäftsbeziehungen. Allerdings gilt die Wirtschaftsfreiheit nur im Verhältnis zwischen Gemeinwesen und Privaten. Hingegen verschafft sie dem Privaten weder Leistungs- noch Teilhabeansprüche. – Allerdings gelten weder die Wirtschaftsfreiheit noch die Vertragsfreiheit absolut. Speziell letztere unterliegt auch aus sozialpolitischen Überlegungen zahlreichen Einschränkungen, etwa im Miet- oder Arbeitsrecht. Auch im epidemiologischen Kontext wird die Vertragsfreiheit neuerdings eingeschränkt, indem u.a. Gastgewerbebetriebe keine Personen aufgrund ihrer Teilnahme an der SwissCovidTracingApp bevorzugen bzw. andernfalls benachteiligen dürfen (Art. 60a Abs. 3 EpG).
Datenschutzrechtliche Aspekte
Der Impf- oder Immunitätsnachweis im Gastgewerbe wirft auch datenschutzrechtlichen Fragen auf. So äusserte der eidg. Datenschutzbeauftragte die Auffassung, es sei ohne gesetzliche Vorgabe unzulässig, dass Bürger einer Beschaffung und Bearbeitung von Gesundheitsdaten durch andere Bürger ausgesetzt würden. Konkret: Erkundigt sich ein Gastwirt beim Gast nach einem Immunitätsnachweis, so erfragt er gesundheitsbezogene und damit «besonders schützenswerte» Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes (Art. 3 DSG). Zwar gibt es solche Einschränkungen von privaten Angeboten aufgrund des Gesundheitszustandes schon bisher. Man denke bloss an jene Chilbi-Attraktionen, deren Benutzung Schwangeren oder Personen mit Kreislauf- oder Wirbelsäulenproblemen untersagt ist, ohne dass dagegen jemand protestiert. Oder die Kindertagesstätte, die als Voraussetzung für die Aufnahme eines Kindes einen Impfnachweis gegen Kinderkrankheiten verlangt. – Ist also das Erfordernis eines Immunitätsnachweises als Voraussetzung für den Restaurantbesuch deutlich signalisiert, können Nicht-Geimpfte selber durch Meidung des Betriebes eine Bearbeitung ihrer Personendaten durch diesen vermeiden. Wünschen sie jedoch dessen gastgewerbliche Dienstleistung, so müssten sie tatsächlich Daten über ihre Gesundheit freiwillig bekanntgeben. Solche Datenbeschaffung seitens des Gastwirts ist «rechtmässig, wenn die Datenverarbeitung verhältnismässig und zu dem Zweck erfolgt, welcher bei der Datenbeschaffung angegeben wurde, bzw., welcher aus den Umständen ersichtlich ist » (Art. 4 DSG). Bei einem Impfnachweis im Gastgewerbe sind die genannten Daten-Erhebungs- und -bearbeitungsgrundsätze erfüllbar, speziell was die Zweckgebundenheit, die sofortige Löschung beim Wegfallen des Erhebungszwecks und die Sicherung gegen unbefugten Zugriff anbelangt.
Zu prüfen wäre überdies die Frage, ob die im Datenschutzgesetz enthaltene Möglichkeit der Persönlichkeitsverletzung, hier des einlasswilligen Gastes, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse zu rechtfertigen ist (Art. 12 f. DSG). Denn die Wahrung der Gesundheit des Gastwirts und seiner Hilfspersonen, seiner übrigen Kundschaft oder der Öffentlichkeit – könnte durchaus ein solches «überwiegendes Interesse» darstellen.
Aus Sicht des Datenschutzes ist die Zulässigkeit eines Immunitäts- oder Impfnachweises als Voraussetzung für die Beanspruchung gastgewerblicher Dienstleistungen bei Eihaltung der genannten Kriterien m.E. zulässig. Hier könnte eine gesetzliche Regelung solcher Datenbeschaffung die nötige Klarheit bringen und so die Gefahr ausufernder Diskussionen im Entrée des Restaurants oder an der Hotel-Reception erheblich reduzieren.
Gastgewerbliche Kontrahierungspflicht?
Die bisher angesprochenen Normen schränken die Privatautonomie des Gastwirts vor allem bezüglich gewisser Formen der Diskriminierung ein, oder sie verbieten aus Datenschutzgründen bestimmte Geschäftspraktiken. Neben diesen negativen Vorgaben kann unter gewissen Bedingungen aber auch eine positive Verpflichtung zum Vertragsabschluss bestehen. Zwar wird in den allermeisten Fällen bei einer solchen Pflicht an die Erfüllung staatlicher Aufgaben durch einen der Vertragspartner angeknüpft. Aber es gibt gesetzliche Vorschriften, welche einer Privatperson die Verpflichtung auferlegen, ohne ihre Willensbildung im Interesse des Begünstigten mit diesem einen Vertrag bestimmten Inhalts abzuschliessen, z.B. bei «marktbeherrschenden Unternehmen» gemäss Wettbewerbs- bzw. Kartellrecht. Allerdings kann sich gemäss Bundesgericht ausnahmsweise eine Kontrahierungspflicht auch ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage ergeben, wenn sie nämlich schon allgemeinen Prinzipien des Privatrechtes entspringt, z.B. dem Verbot sittenwidrigen Verhaltens (BGE 129 III 35, E 6.3). Als illustratives Beispiel diene der erschöpfte Berggänger, der sich in Sturmesnacht zur Schwelle des weit und breit einzigen Berggasthauses schleppt. Er darf vom Wirt nicht abgewiesen werden, weil er keinen Impfausweis vorzeigen kann.
Im Ergebnis dürfte aber ein Kontrahierungszwang des Gastwirts oder Hoteliers im Zusammenhang mit einem Covid-19-Impfausweis angesichts der Vielzahl und der Dichte gastronomischer Angebote kaum je relevant sein. Vielmehr kann m.E. im Gastgewerbe die Verweigerung eines Vertragsabschlusses mit dem Verweis auf die Bekämpfung der Pandemie in aller Regel gerechtfertigt werden.
Auf diesem Hintergrund dürfte die uneingeschränkte Öffnung der Gastgewerbebetriebe für das wachsende Gästesegment der nachweislich Geimpften und gegen Covid-19 Immunen möglich und im wirtschaftlichen Interesse aller Betroffenen sein.
(Dieser Artikel basiert auf der Publikation von Prof. Dr. iur. Lorenz Langer, Immunitätsnachweis, Impfpass und Impfobligatorium, in: Jusletter 1. Februar 2021)
© 27.05.2021 by Dr. iur. Peter P. Theiler, Zürich | CH-8001 Zürich |GastroLegal | www.gastrolegal.ch |
GOURMET-Rechtsartikel 2021/07: Immunitätsnachweis im Gastgewerbe: Der Wirt als Polizist?