Ist Bewirten fremder Leute in der „Wohnzimmer-Beiz“ illegal?
„Von fremden Tellern naschen“ ist bei urbanen Trend-Settern und -Seekern en vogue (vgl. MigrosMagazin Nr. 19 v. 7.5.2012, S. 14 ff): Mann/Frau will nicht länger „in langweiligen Beizen mit dem immer gleichen Convenience-Food, auf den Tisch geknallt von unfreundlichem Personal, herumhängen“. So die motivationsspendende Schablone. Viel lieber laden kreative Hobby-Wirtinnen und leutselige Piraten-Köche, sogenannte „Gastro-Guerilleros“, wildfremde Leute zu sich in die gute Stube ein, um sie dann im privaten Ambiente perfekt zu bekochen. Eine freiwillige Kollekte oder ein Unkostenbeitrag hilft die Warenkosten decken, man tut es ja nicht des Geldes, sondern der eigenen Erfüllung wegen. Aber es darf natürlich auch etwas mehr sein. Rasch bekommt dieser „Trend“ aufregende Marken wie „Underground-“, „Piraten-“ oder „Guerilla-“Gastronomie verpasst. Diese Marken haben – nebst der betonten Abwendung von Fast- und Convenience-Food, hin zu Slow- oder zumindest Bio-Food – wohl auch mit dem unterschwelligen Bewusstsein der Gastgeber und -nehmer zu tun, an etwas beteiligt zu sein, das nicht ganz legal sein könnte ...
Gastro-Trittbrettfahrer ...
Das Schweizer Gastgewerbe ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mit Gastro-Trends konfrontiert worden, welche sich – nebst zweifellos wohltuenden Kreativitätsschüben – in erster Linie darin gleichen, dass sie sich lieber nicht an die vielen und engen Regeln halten wollen, welche unsere Gesellschaft dem Gastgewerbe verpasst hat. Und schon gar nicht möchten diese „Underground-Köche“ die Kosten mittragen, welche beim amtlichen Vollzug dieser Regeln anfallen. Dieser Charakterzug macht die „Outlaws“ – nicht ganz unverständlich – zu weniger beliebten Trittbrettfahrern im Gastgewerbe, welches solche Trends seit langem unter den Titel „Para-Gastronomie“ fasst: zu verschiedenen Zeiten fielen darunter die „Besenbeizen“, die „Privat-Garnis“, die öffentlich zugänglichen Club- und Vereinslokale, die „Privatclubs ohne Schliessungsstunde“, die illegalen Raucher-Lounges, die Wald-Discos und neuerdings die entgeltlichen Bottelöns. Liste nicht abschliessend.
Wirten kann gefährlich sein: für die Obrigkeit ...
Woher aber kommt diese Fesselung des Gastgewerbes mit unzähligen Vorschriften, welche die „Gastro-Guerilla“ erst so attraktiv macht? Die Antwort ist alt wie kurz: aus unser aller Sicherheitsbedürfnis. Eigentlich gilt nämlich – auch und gerade – in der Schweiz das verfassungsmässige Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit, wozu der freie Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit und deren freie Ausübung gehören. Dieses Grundrecht darf nur auf einer gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden, falls daran ein öffentliches Interesse besteht. Nun steht das Gastgewerbe seit alters her im Brennpunkt des menschlichen Zusammenlebens und damit des öffentlichen Interesses. Entsprechend begehrt, aber auch gefürchtet, sind die sich im Wirtshaus bietenden Möglichkeiten der wirtschaftlichen, politischen und moralisch-sittlichen Einflussnahme auf die Gesellschaft. Deshalb verfolgt die politische und die klerikale Obrigkeit das gastgewerbliche Treiben spätestens seit Einführung der 10 Gebote mit Argusaugen. Je nach Zeitgeist schwingt das obrigkeitliche Pendel zwischen liberal und reguliert.
Die Gründe, die verfassungsmässige Wirtschaftsfreiheit im Gastgewerbe einzuschränken, sind in erster Linie polizeilicher Natur: Es geht um den Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit und Sittlichkeit. Denkbar sind aber auch wirtschaftspolitisch motivierte Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit, wie Konjunktur- und Wettbewerbspolitik oder Verbraucherschutz. Die gesetzliche Regelung des Gastgewerbes liegt in der kantonalen Kompetenz, weshalb wir in der Schweiz mit 26 mehr oder weniger verschiedenen Gastgewerbegesetzen leben dürfen.
Wirtepatent von Kanton zu Kanton verschieden
Im Kanton Zürich bedarf beispielsweise einer Gastgewerbe-Bewilligung, „wer an allgemein zugänglichen Örtlichkeiten mit Erwerbsabsichten, die nicht gewinnstrebend sein müssen, Speisen oder Getränke zum Genuss an Ort und Stelle verabreicht“.Wir sind beim „Bewirten von Leuten in der eigenen Wohnung“ angelangt: Dieses ist bewilligungspflichtig, sofern erstens die „Wirtschaft“ grundsätzlich jedermann – also nicht bloss einem bestimmten privaten Personenkreis – zugänglich ist, und wenn zweitens die Bewirtung gewerbsmässig erfolgt. Als „gewerbsmässig“ gilt die Bewirtung, wenn das Entgelt des Gastes ein Haupt- oder ein Neben-Einkommen des Gastgebers darstellt, selbst wenn dieses nicht kostendeckend oder gar gewinnbringend ist.Bevor aber die Gastgewerbebewilligung erteilt wird, prüft die Gemeinde am Ort des Lokals die betrieblichen und persönlichen Anforderungen, welche der Gesetzgeber zum Schutze der Konsumenten aufgestellt hat. Diese Anforderungen können allerdings je nach Art und Umfang des beabsichtigten Betriebes zahlreich und teuer werden; zu denken ist etwa an erforderliche Investitionen für Kühlanlagen, Lüftung, getrennte WC-Anlagen u.s.w.
Wirten kann gefährlich sein: für die Mitmenschen ...
Nun mag Piraten-Koch/Underground-Wirtin einwenden, auf diese Weise werde die dringend benötigte Kreativität im Gastgewerbe natürlich schon „im Keime erstickt“. Damit hat er/sie intuitiv den springenden Punkt getroffen: Denn wer soll die Verantwortung tragen, wenn beispielsweise der Haus-Gast mit einer Lebensmittelvergiftung im Spital landet, weil der Piraten-Koch den herrlichen Kartoffelsalat in hausmännischer Voraussicht schon tags zuvor zubereitet und – mangels Platz im Wohnungskühlschrank – auf dem sonnigen Balkon verwahrt hatte? Übrigens auch sehr zur Freude der alldorten nistenden Taubenkolonie. Oder wer soll dafür haften, wenn die überforderte Familien-Fritteuse plötzlich Feuer fängt und beim ausgelösten Küchenbrand Gäste oder gar andere Hausbewohner verletzt und fremdes Eigentum beschädigt werden? Wer steht gerade, wenn die zahlreichen Gäste nachts um zwei auf dem Balkon rauchen und schäkern, während die Mitmieter verärgert um Schlaf oder zumindest rauchfreie Luft ringen? Und übrigens vermögen das letzte „Ciao“ über die Gasse oder das ekstatische Kreischen der Verehrerinnen angesichts des Kavaliersstarts ihres Helden von der Küchen-Bar um vier Uhr morgens ganze Quartiere zuverlässig zu wecken. Um solche negativen Auswirkungen des Gastgewerbes möglichst zu verhüten, existieren die – leider tatsächlich sehr engmaschigen – Regeln der Gastgewerbegesetze. Ihre Rigidität darf jedoch durchaus als Spiegelbild der jeweiligen Konsumentenstimmung gewertet werden. Doch gleichviel, ob diese Regeln strenger oder weniger streng sind, etwas sollten sie immer sein: für alle gleich, ob für „normale“ Gastwirte oder für Gastro-Piraten.
Wohnzimmerrestaurant-Ausnahmebewilligung in Zürich
Falls Sie also Leute bei sich zu Hause bewirten möchten, wenden Sie sich besser frühzeitig an die Verwaltung jener Gemeinde, wo sich das „Wohnzimmer-Restaurant“ befinden soll.Nehmen wir als Beispiel die Stadt Zürich: Hier haben Sie die Stadtpolizei/Abt. Polizeibewilligungen, zu kontaktieren. Diese will zuerst wissen, wie oft Sie Ihr Wohnzimmer-Restaurant betreiben wollen. Denn bis/mit 8-mal pro Jahr gilt das entgeltliche Bewirten in Zürich als „Bagatellfall“, welcher mit einer Ausnahmebewilligung abgehandelt wird. Möchten Sie jedoch Ihr Wohnzimmer-Restaurant öfter betreiben, dann handelt es sich um eine baurechtliche Umnutzung Ihrer Wohnung, welche sämtlichen diesbezüglichen bau-, gesundheits- und feuerpolizeilichen Anforderungen zu genügen hat und insbesondere der Zustimmung des Eigentümers/Vermieters bedarf. Der Verstoss gegen diese Vorschriften ist auch strafrechtlich relevant.
Da Sie in unserem Beispiel aber bloss die Ausnahmebewilligung anstreben, erhalten Sie diese, sobald die Feuerpolizei zugestimmt hat. Aus feuerpolizeilicher Sicht gilt in der Stadt Zürich als Bagatellfall, wenn sich gleichzeitig nicht mehr als 50 Personen in der Lokalität aufhalten. In aller Regel können jedoch in einer Wohnstube nicht mehr als 10 bis 20 Personen gleichzeitig bewirtet werden, weshalb Ihrer Ausnahmebewilligung nichts mehr im Wege steht, vorausgesetzt, Ihr Leumund ist einwandfrei. Das Leumundszeugnis besteht aus dem Strafregisterauszug, welchen Sie in Bern bestellen können, und aus dem Betreibungsauszug, den Sie beim Betreibungsamt erhalten, beides immerhin online möglich.
Wie Sie unschwer erkennen, sollten Sie sich mindestens vier Wochen vor Ihrem ersten Gastro-Event um Ihre Ausnahmebewilligung kümmern. Und wohl gemerkt: unser Beispiel gilt für die Stadt Zürich. Aber bekanntlich kennt jede Schweizer Gemeinde ihre eigenen Gepflogenheiten ...
Fazit: Aufregender, aber (noch) unbedeutender Gastro-Trend
Kein Wunder also, dass die „Underground“- oder „Wohnzimmer-Gastronomie“ bis heute weder in den Augen der lokalen Gastgewerbeverbände noch der lokalen Polizei- bzw. Verwaltungsbehörden ein echtes Problem darstellt: kommt sie – bis heute – noch relativ selten vor ...
© by Dr. iur. Peter P. Theiler | CH-8001 Zürich | www.gastrolegal.ch |