Bau-Immissionen

Mietzinsherabsetzung wegen Bauimmissionen des Nachbarn

Die Rössli-Wirtin ist empört: Im Februar hatte der Eigentümer des Nachbargrundstücks damit begonnen, den dortigen Vorstadt-Bau aus den 1960er-Jahren abzureissen und ein dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage zu erstellen. Das Bauvorhaben soll wegen verschiedener Einsprachen noch mindestens bis im Frühjahr 2018 andauern. Resultat: Die meisten Gäste, die bisher regelmässig aus dem nahen Gewerbe- und Industriequartier zum z’Nüni, zum Mittagessen und zum Feierabend-Apéro kamen, bleiben seither aus. Denn von morgens um Sieben bis punkt Zwölf, und von punkt Eins bis punkt Fünf dröhnen und lärmen seit dem Frühjahr die Baumaschinen, Presslufthämmer, Betonmischer, Kranhörner, Lastwagen etc. In der kühlen Jahreszeit konnte man in der Gaststube trotz geschlossenen Fenstern kaum mehr eine Unterhaltung führen. Jetzt im Sommer ist die Gartenterrasse täglich mit Staub gepudert und der Baustellenlärm ist so laut, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Kein Wunder, dass die Gäste ausbleiben. Für die Rössli-Wirtin eine Katastrophe: Der Umsatz ist seit Februar um mehr als die Hälfte zusammengebrochen. Es reicht – nebst den anderen notwendigen Ausgaben - beim besten Willen kaum mehr, den Mietzins zu bezahlen. Die Lieferanten wollen bald nur noch gegen bar liefern. Als Sofortmassnahme musste die Rössli-Wirtin das Vollzeitpersonal entlassen. Doch sie weiss: wenn es so weitergeht, wird sie den Sommer nicht überstehen. – Beim Vermieter, auf diese Misere angesprochen, ist sie auf taube Ohren gestossen. Deshalb hat sie ihn Mitte April 2017 in einem Einschreiben darum ersucht, ihr die Miete rückwirkend ab Februar entsprechend ihrem Umsatzausfall um 60% herabzusetzen. Daraufhin hat der Vermieter zurückgeschrieben, es tue ihm leid, aber er sei auch nicht verantwortlich für diese Bauimmissionen, und auch er müsse seinen Verbindlichkeiten nachkommen, weshalb er ihr den Mietzins beim besten Willen nicht senken könne. – Wer bekommt wohl Recht?

Sind Bauimmissionen des Nachbarn ein Mangel der Mietsache?

„Wird die Tauglichkeit der Mietsache zum vertraglich vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigt oder vermindert, so kann der Mieter vom Vermieter verlangen, dass er den Mietzins ab dem Zeitpunkt, in dem er vom Mangel erfahren hat, bis zur Behebung des Mangels entsprechend herabsetzt“ (Art. 259d OR).

Damit ist vorweg geklärt, dass ein allfälliger Herabsetzungsanspruch erst ab dem Zeitpunkt besteht, ab welchem der Vermieter von der Beeinträchtigung der Mieterin überhaupt erfährt. Vorliegend mit dem Empfang des Einschreibens der Mieterin von Mitte April 2017.

Mangels Legaldefinition muss das Vorliegen eines Mangels im Einzelfall als Abweichung des tatsächlichen vom vertraglich vorausgesetzten Zustand (Art. 256 OR) ermittelt werden. Gemäss der Rechtsprechung kann ein Mangel seinen Ursprung auch im Verhalten eines Dritten haben, vorliegend des bauenden Nachbarn. Insbesondere können Immissionen von einer benachbarten Baustelle, wie: Lärm, Schmutz, Erschütterungen etc., einen Mangel bedeuten, der zur Mietzinsherabsetzung berechtigt. Dabei kommt es gemäss Bundesgericht nicht darauf an, ob der Mangel im Einflussbereich des Vermieters liegt oder nicht. Allerdings liegt die Beweislast für das Bestehen eines Mangels und dem sachlichen sowie zeitlich geltend gemachten Umfang einer Herabsetzung beim Mieter. Das hat zur wichtigen Konsequenz, dass sich die Rössli-Wirtin für das anstehende Schlichtungs- oder spätere Mietgerichtsverfahren bestens vorbereiten sollte: Zwar muss sie nicht gerade einen Stundenrapport über die Baustellenimmissonen führen – aber eine Art Tagebuch mit Foto-Dokumentation wäre für einen späteren Prozess hilfreich. Denn vor Gericht muss sie diejenigen Störungen bzw. Immissionen, welche „über das normalerweise von einem Nachbarn bzw. Mieter zu tolerierende Mass hinausgehen“ beweisen. Insbesondere muss sie die Störquellen (z.B. Rammen), deren Zeit bzw. Dauer und deren Auswirkungen, z.B. als Unmöglichkeit, normale Gespräche zu führen, oder z.B. übermässige Staubimmissionen, welche zu täglicher Fenster- und Terrassenreinigung zwingen, rechtsgenüglich festhalten und möglichst auch Zeugen für die einzelnen Vorfälle benennen können. Die vorgelegten Fotos sollten z.B. den behaupteten Staub erkennen lassen. – Zu wenig präzise und deshalb rechtlich ungenügend wären Behauptungen wie: „Häufig war es so wegen des Pfahlrammens laut, dass die Gäste sich nicht mehr unterhalten oder telefonieren konnten“ o.ä. Überdies ist bei Geschäftsmiete der Zusammenhang zwischen den Baustellenimmissionen und dem erlittenen Umsatzrückgang nachzuweisen, was nicht möglich wäre, wenn vorliegend die Rössli-Wirtin den Betrieb jeweils erst ab 18 Uhr öffnen würde.

Höhe der Mietzinsherabsetzung

Kommt das Gericht zur Auffassung, dass die störenden Bauimmissionen hinsichtlich Intensität und Dauer - nach Durchschnittsempfinden und nicht nach subjektiver Empfindlichkeit - über das gemäss Mietrecht zu tolerierende Mass hinausgehen und deshalb die Rössli-Wirtin in rechtlich relevanter Weise im vertragsgemässen Gebrauch des gemieteteten Restaurants während einer bestimmten Frist einschränken (Art. 259a OR u. Art. 259d OR), geht es in einem zweiten Schritt darum, die Höhe der Mietzinsherabsetzung zu bestimmen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, in welchem Ver-hältnis sich die Zeiten der Störungen mit den Betriebszeiten überlappen: Wenn der Baustellenbetrieb von Montag bis Freitag, jeweils 07:00h – 12:00h und 13:00h – 17:00h dauern, und die Restaurantbetriebszeiten von Dienstag bis Sonntag von 07:00h – 24:00h, so werden genau besehen nur – aber immerhin – 35,3% (36 Std) der gesamten Restaurantbetriebs-Stunden (102 Std) pro Woche durch Bauimmissionen gestört, obwohl die Störung der Rössli-Wirtin gefühlt viel umfangreicher erscheint. Als weiteres Kriterium hat die Klägerin anhand von Vorjahres-Vergleichszahlen zu belegen, welcher bzw. wieviel Umsatz tatsächlich ausgefallen ist, denn das Abendgeschäft sowie das Samstags- und Sonntagsgeschäft und ggf. das Catering sind ja vom Baustellenbetrieb nicht betroffen. Angenommen, die Tages-Umsätze sind während des Baustellenbetriebs nachweislich um 60% zurückgegangen, so entspräche dies vereinfacht 40% des Wochen- bzw. des Monats-Umsatzes. Das Gericht würde ggf. den Netto-Monatsmietzins wegen eingeschränkter Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts während der Bauzeit um vielleicht 40% herabsetzen, wobei allenfalls noch differenziert würde zwischen störungsintensiveren und weniger störungsintensiven Bauphasen. Die bei Geschäftsmietern verbreitete Faustregel „Umsatzrückgang = Mietzinsherabsetzung“ gilt nicht unbesehen und muss vor allem zuerst bewiesen werden!

Regress des Vermieters auf den störenden Nachbarn?

Bleibt also der ebenfalls betroffene Vermieter im Regen stehen? Nicht unbedingt. Denn unter gewissen Voraussetzungen kann er die Mietzinsherabsetzungsansprüche seiner Mieterin wegen Immissionen aus der benachbarten Baustelle auf den Eigentümer der Nachbarparzelle abwälzen. Ein Eigentümer ist nämlich gesetzlich verpflichtet, sich bei der Ausübung seines Eigentums aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten (Art. 684 ZGB), wozu insbesondere alle schädlichen und nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Rauch, Russ, lästige Dünste, Lärm oder Erschütterung zählen. Bis vor kurzem konnte der geschädigte Eigentümer auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen (Art. 679 ZGB).

Seit 2012 bestimmt nun aber Art. 679a ZGB: „Fügt ein Grundeigentümer bei rechtmässiger Bewirtschaftung seines Grundstücks, namentlich beim Bauen, einem Nachbarn vorübergehend übermässige und unvermeidliche Nachteile zu und verursacht er dadurch einen Schaden, so kann der Nachbar vom Grundeigentümer lediglich Schadenersatz verlangen.“

Die so formulierte Schadenersatzpflicht der Bauherrin setzt kumulativ voraus, dass:

  • die Bauherrin ihr Grundstück rechtmässig bewirtschaftet, konkret im Rahmen der Baubewilligung baut und die einschlägigen Vorschriften einhält;
  • ​die Bauherrin in Ausführung ihrer rechtskonformen Bautätigkeit der Nachbarin trotzdem übermässige und unvermeidliche Nachteile zugefügt hat;
  • dass diese Nachteile vorübergehend waren;
  • dass durch diese rechtskonforme Bautätigkeit der Nachbarin nachweislich ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist, wobei sich dieser Schaden nach den allgemeinen Kriterien des ausservertraglichen Schadenersatzrechts bemisst (Art. 41 ff. OR).

Als „Nachbarn im weiteren Sinne“ und damit zur Klage berechtigt (aktivlegitimiert) gelten nota bene auch die Mieter des benachbarten Eigentümers.

Deshalb aufgepasst: Wenn sich der Vermieter aus Angst oder Abneigung vor einem Prozess mit der Rössli-Wirtin als seiner Mieterin ausseramtlich auf eine Entschädigung einigt, kann die später ins Recht gefasste Bauherrin geltend machen, die zwischen Vermieter und Mieterin vereinbarte Entschädigung sei nicht bzw. nicht vollumfänglich gerechtfertigt, und es kann angesichts der strengen Voraussetzungen durchaus sein, dass das Gericht die Nachbarentschädigung aus Art. 679a ZGB tiefer ansetzt als in der Vereinbarung mit der Mieterin abgemacht. Aus diesem Grunde sollten in eine solche Entschädigungsvereinbarung nach Möglichkeit sowohl Mieter als auch Vermieter und benachbarte Bauherrin per Saldo aller Ansprüche aus dem konkreten Sachverhalt einbezogen sein.


© by Dr. iur. Peter P. Theiler | CH-8001 Zürich | www.gastrolegal.ch |

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